Heinz Pelz

Shakespeare meets Elvis


Wolf Pehlke



Shakespeare kam mit dem Lastwagen. Sie stellten ihn zu den anderen in eine Ecke. Im Lichthof nebenan war Büchners Woyzeck wirr durcheinander geworfen. Und Tschechow

türmte sich zusammen mit Mrs. Doolittles grünem Pflanzenkübel und mit Peterchens Mondfahrt bis zu der Decke der Seitengänge hinauf. Es war ein großartiges Spektakel.

Die Kulissenwände des Theaters hielten Einzug mit dem Getöse riesiger Trojanischer Pferde. Hölzerne Ungetüme, unwirklich und untröstlich menschenleer. Monatelang rücken

sie nach und in den Nächten kann man hören, dass sie mit den Hufen scharren und dass ihre Nüstern schnauben.


In den Geruch aus Stahl, Maschinenöl und Beton mischt sich jetzt ein Hauch von Brüsseler Spitze, die in das zierliche Taschentuch einer Dame aus dem 19ten Jahrhundert eingewebt ist. Das mit Fliederduft parfümierte Tüchlein segelt im Vorbeigehen wie achtlos entglitten

herab und ein kokett über die Schulter geworfener Blick fordert uns auf einem weiteren kleinen Abenteuer zu folgen.


Heinz Jürgen Pelz ist ein Mann der das Höhlentauchen liebt.

Die schrundigen Spuren in seinen Ölfarben erinnern an die geheimnisvollsten Ablagerungen in der Erdgeschichte. Er hat Dinge gesehen, die niemals das Licht der Welt erblicken werden. Im Schein seiner Taucherlampe schillert ein versunkenes Universum, das zum allerersten Mal von einem menschlichen Auge betrachtet wird. Grotten und Paläste.

Stalaktiten und unberührter Lehm.


Ein Ursprung aus Verdichtung und Verrottung. Millionen unbekannter, rätselhafter Jahre, deren gewaltiger Kern, eines durch Gasexplosionen verdichteten Planeten, allen

Bemühungen zum Trotz, den Sinn unseres eigenen Daseins offen lässt. Aus Vergänglichkeit und aus bedeutungslosen Taten heraus werden wir in das Leben geworfen. Zweibeinig

zerrupfte Wesen, die in das Buch der Geschichte geschrieben sind. Aber ob dieses Buch überhaupt existiert ist im Anblick reiner Materie, tief unter der Erdoberfläche, nicht wirklich gewiss. Dort ist eine Welt, die so einsam und so kalt ist wie der eisige Winter in einer Industriebrache. Nur wenige halten das aus. Aber der Mann mit seinen schrundigen Ölfarben und mit seinen Augen hinter einer Tauchermaske ist genau der Richtige, um ihn mit an Bord zu holen.


Mit dicken Tauen und mit einem Flaschenzug zurren wir die Kulissen in den ersten Stock hinauf. Eine nach der anderen hieven wir über das Geländer. Eine nach der anderen schrauben wir die Kulissenwände entlang der Säulen nebeneinander fest. Die Kulissen sind aus bestem Holz verarbeitet und auf den Rückseiten beschriftet und mit Nummern versehen. Schneewittchen, dritter Akt, zweite Szene steht nun neben den Physikern von Dürenmatt, die sich in einem Irrenhaus darüber streiten, wohin die Spaltung der Atome überhaupt führt. Stoß an Stoß mit der Innenwand des Irrenhauses steht eine Balkonszene ohne Balkon. Den Balkon haben wir unten bei den Trojanischen Pferden gelassen, wo seine Scharniere und die Verbindungswinkellangsam vor sich hin rosten. Auf einer idyllischen Schlosskulisse, mit einer Herde grasender Schafe im Hintergrund, hat die Theaterwerkstatt in der Szenerie jene Stelle einfach ausgespart, auf die der massive Balkon bei den Aufführungen die Sicht völlig verdeckt. Fast in allen malerischen Kulissendarstellungen tauchen solche nackten, leeren

Zeitlöcher im Bild auf und lassen irgendetwas verschwinden.


Wir schrauben den Zerbrochenen Krug an der Endstation Sehnsucht fest. Es geht flott voran. Der Zerbrochene Krug hat die Nummer 43 B, aber das dazu gehörige zweite Teil mit der

Nummer 43 A ist nirgendwo zu finden. Also hieven wir stattdessen Wagners Parsifal über das Geländer und nageln eine Szene in einem mit Wandteppichen geschmückten Rittersaal an dem halben Krug fest.


Der Abschluss dieser grob gezimmerten Galerie bildet ein echter Knüller. Warten auf Godot von Samuel Beckett spielt vor einer monochromen Wand voller moosgrüner Wasserflecken und Schimmelsporen und passt sich den realen Bedingungen rundum hervorragend an. Schon allein die mit sensibler Hand aufgesetzten akribischen Spinnweben stellen die Realität auf einen harten Belastungstest.


Nachdem wir dann noch die Eingangstür einfach ausgesägt haben ist das dritte besetzte Atelier im Hallenbau A praktisch schon betriebsbereit. Wir pinkeln gemeinsam durch das

Geländer auf einen Stapel gemütlicher Waldlichtungen in Schillers Räuber herunter. Der Winter kann jetzt für den Mann mit den schrundigen Ölfarben ruhig zeigen, was er sonst

noch so zu bieten hat.


© 2012 Wolf Pehlke

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