Heinz Pelz

Die Natur des Bildes


Zu den Enstehungsprozessen der Bilder 

im Werk von Heinz Pelz


Dr. Margrit Brehm



„Vielleicht ist ja ein Bild, vielleicht ist die Malerei, 

einfach nur eine Art Arche Noah, in der die ganze Schöpfungsgeschichte zusammenkommt. (…)

Und noch etwas: Streifenhörnchen haben überhaupt keine Hörnchen, sondern einfach nur Streifen. Denken Sie unbedingt daran, wenn Sie vor den Bildern von Heinz Pelz stehen.“                

Wolf Pehlke, „Gott hat Humor“, 2012



Ursache und Wirkung


Zuerst ist da der große Bogen schweres Büttenpapier, fast zwei Meter hoch und deutlich breiter als einen Meter – ein Format, größer als eine Tür. Wenn das fertige Bild später an der Wand hängt, wird es zum Gegenüber. Zunächst aber auf dem Tisch liegend, ist das Blatt für den Künstler Arbeitsfläche und Experimentierfeld. Manchmal nimmt Heinz Pelz dann Pastellkreiden zur Hand, zeichnet einige kurze Striche, Strichbündel oder Kringel, setzt vielleicht sogar Zeichen aufs Papier, die für ihn mit der Erinnerung an zwei Bäume auf einem Felsen oder an eine Kirche verbunden sind. Manchmal sind es auch Aquarellfarben, mit denen er vereinzelte Farbakzente aufs leere Blatt malt, angedeutete Rechtecke im Rapport, kleinere oder größere Flächen ohne feste Kontur. Es sind die ersten Entscheidungen, die der Künstler für das zukünftige Bild trifft. Irgendwo auf dem Bogen muss die Hand die Farbmaterie platzieren und ihr Form geben, das geht nicht „willenlos“. Bei den Farbvaleurs ist das schon etwas anderes: Einfach in die große Kiste mit den Kreiden greifen und die Wahl der Farben dem Zufall überlassen. Welche zuerst kommt, malt zuerst. In dieser Phase der Bildentstehung könnte man noch vermuten, dass es sich bei den „Arbeiten auf Papier“ von Heinz Pelz tatsächlich um Zeichnungen im traditionellen Sinn handelt. Das ist aber eher die Ausnahme als die Regel.


Schon die aleatorisch und meist äußerst sparsam auf der Bildfläche verteilten Farbmarkierungen lassen vermuten, dass Heinz Pelz die Angst vor der Leere, den Horror Vacui, nicht kennt. Dass er die Leere sogar in gewisser Weise konserviert, wenn er dem Papier eine zweite, transparente Haut gibt, verblüfft dann aber doch. Indem er das Blatt mit Silikon oder Lascaux-Lack bestreicht, manchmal sogar in mehreren Schichten, gleichmäßig oder ungleichmäßig, Flächen aussparend oder auch nicht, versiegelt er die offene, saugfähige Oberfläche des Büttenpapiers und – sollte es sie überhaupt geben – auch die farbigen Zeichen. Seine Spuren setzt der Künstler dann zunächst unsichtbar, indem er die zuvor aufgetragene Haut verletzt. Die Oberfläche wird mit Schleifpapier stellenweise aufgeraut, mit Kratzspuren versehen oder mit verschiedenen Aufsätzen auf der Bohrmaschine bearbeitet. Dabei entstehen in ihrer Breite, Tiefe und Kontur variierende Formen. Je nachdem wie er die Maschine – nicht gerade das naheliegende Gerät angesichts der empfindlichen Unterlage – einsetzt, schabt der Bohrer nur wenig von dem Silikon ab, schafft kleine Verwirbelungen, vielfach gebrochene, stakkatohafte Linien oder gräbt sich so tief in die Oberfläche, dass das Papier aufgerissen wird und Grate sich aufwölben. Pelz interessieren an diesem Verfahren nicht nur die Auswirkungen des nur mit beschränkter Kontrolle handhabbaren „schweren Geräts“, sondern auch, dass es sich um einen „Blindflug“ handelt. Jede Spur, die er auf der glatten Oberfläche hinterlässt, kann nur aus einem ganz bestimmten Winkel tatsächlich gesehen werden; frontal betrachtet ist das Blatt immer noch leer oder zeigt die Farbformen, die in diesem Moment schon einer in der Vergangenheit liegenden tieferen Schicht angehören. Wenn der Künstler danach das ganze Bildfeld – schmale Ränder an allen Seiten bleiben während des ganzen Prozesses abgeklebt – mit schwarzem Schultafellack oder Ölfarbe überstreicht, scheint es, als wolle er alles, was bisher geschah, auslöschen. Aber auch dies ist nur ein Zwischenschritt und, anders als zunächst vermutet, die Methode, das zuvor Unsichtbare sichtbar zu machen. Erkennbar werden die zuvor hinterlassenen Spuren allerdings erst, wenn im nächsten Arbeitsschritt die Übermalung wieder mit Terpentin abgewaschen wird. Die schwarze Farbe bleibt nur dort stehen, wo die Lackschicht sehr dünn oder gar nicht vorhanden war oder wo sie verletzt wurde. Insofern weist die Vorgehensweise Parallelen zum Tiefdruck auf, etwa dem Kupferstich, bei dem auch nur die aus der Platte geschnittenen Linien, also die „Leerstellen“, auf dem Abzug auf Papier sichtbar werden. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass hier aber alles auf dem Papierbogen selbst, also auf einer Ebene passiert – es gibt weder einen Druckstock noch wird gedruckt.


Das finale Bild ist immer eine Überraschung – auch für den Künstler. Natürlich plant Heinz Pelz, was er tut, kennt die Prozesse, die bestimmte Vorgehens-weisen in Gang setzen, aber das Resultat kann er nicht voraussehen. Darin liegt die Herausforderung, die er sucht und die für ihn auch nach mehr als 30 Jahren künstlerischer Praxis Ansporn ist. „Das, was sich als Kunstwerk der Beobachtung preisgibt, leistet einen eigenständigen, nicht in ein anderes Medium übersetzbaren Beitrag zur Kommunikation. Und auch der Künstler kann nur sehen, was er gewollt hat, wenn er sieht, was er gemacht hat.“ Niklas Luhmanns oft zitierter Satz gilt zwar grundsätzlich für „gute Kunst“, aber seine Einschätzung, dass der Künstler „primär als Beobachter und nur sekundär als Entscheider an der Erstellung des Kunstwerks beteiligt“ ist, trifft auf die Praxis von Heinz Pelz während der Arbeit am Bild in besonderem Maß zu. (Das Resultat betrachtet er dafür umso kritischer, und nur die Werke, die als Bildkörper sinnliche und intellektuelle Präsenz haben, seinen Anforderungen entsprechen, entgehen der Überarbeitung oder Zerstörung.) Die Voraussetzung ist ein geplanter Kontrollverlust, den er durch die Vielfalt der angewandten Techniken und den Wechsel zwischen gezieltem Zugriff – der auf genauer Kenntnis der eingesetzten Materialien und Techniken ebenso wie jahrelanger Erfahrung beruht –, Experimentierfreude und Offenheit gegenüber dem, was sich aus der Eigengesetzlichkeit des Werks entwickelt, erreicht. Die Natur des Bildes – entsprechend „de natura rerum“, die „Natur der Sache“ – ist für den Künstler Ausgangspunkt, Mit- und Gegenspieler. Die Besonderheit seiner Methode liegt damit gerade in dem Spielraum zwischen Ursache und Wirkung. Neben der disziplinierten „Arbeit am Bild“ wird auch den daraus resultierenden und nicht beeinflussbaren, materialimmanenten Veränderungen Zeit und Raum gegeben. Manche Werke verdanken ihr finales Erscheinungsbild gerade dem „Nicht-Tun“, dem Geschehenlassen – Wu Wei.



Bilder wachsen lassen


Diese besondere Zugangsweise prägt nicht nur die Arbeiten auf Papier, sondern auch die früheren, auf den ersten Blick so grundlegend anders erscheinenden Werke von Heinz Pelz. Für ihn ist das Bild nicht Träger einer Botschaft, nicht Abbild, sondern steht für sich, verdankt seine Präsenz den bildinternen Mitteln und Methoden. Zu Beginn der 1990er Jahre malte er „schwere“ Ölbilder, Schicht um Schicht trug er die Farbe auf, bis die Malschicht reliefhafte Qualitäten hatte. Besonders die kleineren Formate, denen er – auch als Gegengewicht zum pastosen Farbauftrag – durch breite Keilrahmen ein fast kastenartiges Volumen gab, erscheinen dabei durch die aufgesprungenen, manchmal sogar aufgestochenen Oberflächen als „Farbkörper“. (Abb. 01) Schon hier kamen keineswegs nur Pinsel zum Einsatz, sondern unterschiedlichste Gerätschaften zum Bearbeiten und „Bewegen“ der Farbe auf der Leinwand. Überdeckte Farbschichten wurden freigelegt, aufs Neue überarbeitet, bis eine ganz eigene Bildräumlichkeit entstand. Allein durch das Material und die eingesetzten Mittel „wuchsen“ Formen, die an Strukturen von Landschaften in Form von Verwerfungen, Faltungen, Bruchlinien, Erhebungen und Senken erinnern. (Abb. 02) Im Wahrnehmungsprozess verbindet sich der direkte Blick auf die konkrete Präsenz der Malerei im ungegenständlichen Bild assoziativ mit Erinnerungsbildern, die auf extremer Nahsicht (Einblicke in den Mikrobereich etwa von Gesteinsbildungen) oder auf der Betrachtung aus der Vogelperspektive beruhen. Im Akt der unmittelbaren Wahrnehmung werden Bilder aktiviert, die der Mensch ohne Hilfsmittel gar nicht sehen kann. Die gedankliche Verknüpfung von Kunst und Natur ist kein Zufall, sind doch auch die Malschichten Ablagerungen, die durch die weitere Bearbeitung gepresst, zusammengeschoben oder aufgeworfen werden. Man muss keineswegs die idealistische Vorstellung vom Künstler als Schöpfer bemühen – „Nicht nach der Natur, sondern wie die Natur“ –, um diesbezüglich von der Natur des Bildes zu sprechen.


Kurz vor 2000 treten neben die schweren Ölbilder leichte, scheinbar vor der Wand schwebende Lackmalereien auf Platten aus Feinblech. Der dünn aufgetragene Zweikomponentenlack zeichnet nicht nur jede Bewegung der Hand nach (gegossene oder mit dem Pinsel aufgetragene Linien, banale Wischbewegungen, mehr oder weniger rhythmisiert, werden bevorzugt), sondern hat auch eine Eigendynamik, breitet sich aus, fließt der Schwerkraft folgend, je nachdem, wie die Tafel bewegt wird. Akzeptiert Pelz manchmal die sich daraus ergebenden Tropfenformen, so rückt er ihnen häufiger mit Schmirgelpapier zu Leibe. Der Eingriff stellt die Flächigkeit zwar wieder her, hinterlässt aber seinerseits Spuren. Die zuvor scharfen Konturen lösen sich auf, wodurch die geschliffenen Formen wie von einer Aura umgeben scheinen, die wiederum eine Plastizität suggeriert, die es so gar nicht mehr gibt. (Abb. 03) Man könnte hier von einem „Bildgedächtnis“ sprechen, also der Bewahrung der eigenen Geschichte durch das Bild. Als Betrachter können wir die Geschichte häufig nur teilweise nachvollziehen, aber unsere Wahrnehmung reagiert unmittelbar darauf. Der Prozess ist der gleiche, wenn wir einen kleinen Stein betrachten, den wir zufällig am Strand aufgehoben haben: Aus dem, was wir sehen, lesen wir die Bewegung der Wellen und die dadurch verursachte Reibung; die unregelmäßigen Streifen geben Einblicke in über Jahrtausende gewachsene Gesteinsschichten und vielleicht entdecken wir sogar die Andeutung einer Spirale, die Reste eines Schneckenhauses. Die Natur des Bildes umfasst auch dieses „Bildgedächtnis“, verweist auf die dem Bildträger eingeschriebene Geschichte.


Parallel zu den reduzierten Lackbildern arbeitet Pelz aber auch weiter mit Öl auf Leinwand und geht dabei noch radikaler ans Werk. Zwar baut er nach wie vor Farbvolumen durch Schichtungen auf, aber nicht selten wird ein Teil oder gar die ganze „Malerei“ dann mit einem Spachtel zusammengeschoben und findet als von Farbschlieren durchzogene Anhäufung einen neuen Platz auf dem Bildträger. Der Farbhaufen zeugt ebenso von dem ursprünglichen Zustand des Bildes wie die „freigeräumte“ Fläche, die entweder so belassen wird, wie der Spachtelzug sie hinterlassen hat (je nach Trocknungsgrad der einzelnen Schichten vermischen sich diese) oder weiterbearbeitet wird. (Abb. 04) Überraschend an diesen Bildern ist, dass ihr Erscheinungsbild trotz des brutalen Eingriffs nicht aggressiv ist, sondern sie eher befreiend wirken. Das zuvor Schwere, scheinbar Festgefügte gewinnt an Dynamik – Linie, Fläche, Farbe, Struktur und Volumen treten in ein neues Verhältnis.


Ein kleines Ölbild aus dem Jahr 2006 zeigt die aus den Verfahren resultierende Vielfalt im Erscheinungsbild. (Abb. 05) Es ist eines der Bilder, die Heinz Pelz als „Missglück“ beschreibt, eine Leinwand, die nach zahlreichen Bearbeitungen zunächst als „unrettbar“ zur Seite gestellt und dann doch wieder auf den Arbeitstisch zurückgeholt wurde. Ein Neuanfang ist nicht möglich, das weiß Heinz Pelz genau, aber es kann zu radikalen Maßnahmen gegriffen werden. Die verschiedenen Malschichten werden zu einem breiten Streifen knapp oberhalb der Bildmitte zusammengeschoben, dessen Ränder (vielleicht mit einen schmalen Spatel) so geglättet werden, dass die Horizontale betont und zugleich ein Übergang zwischen den abgezogenen Flächen und der sich aufwölbenden Farbe in der Mitte geschaffen wird. Das dabei zum zweiten Mal abgetragene Farbmaterial wurde aber nicht entfernt, sondern findet sich – entsprechend der Bearbeitung oben und unten – in zwei dicken Batzen, die mit kurzem Schwung auf die aufgehäufte Farbe geklatscht wurden. Aus dem zerstörerischen Akt resultiert eine ganz eigene Poesie: Feine Schlieren reiner Farbe, Rot, Orange, Grün, Gelb und Blau heben sich vom Weiß und vielfarbigen Grau ab. Vielleicht hatte auch der Künstler als er sah, was da entstanden war, die Assoziation mit/zu etwas organisch Wachsendem, Naturhaftem und hat deshalb zum Schluss noch mit dem Pinsel einige Striche mit wenig schwarzer Ölfarbe hinzugefügt, die uns verführen, an einen liegenden Stamm oder Ast zu denken, aus dem neues Leben sprießt.


Heinz Pelz hat nie gegenständlich gearbeitet, nie nach Abbildern gesucht, sondern stets am Bild als eigenständigem Objekt gearbeitet. Grenzt seine Methode, „Bilder wachsen zu lassen“, seine Kunst per se von allen expressiven und figurativen Ausdrucksformen ab, so gibt es auch in der abstrakten Malerei nur wenige – wenn auch bezeichnenderweise seit den späten 1980er Jahren zunehmend mehr – Künstlerinnen und Künstler, die sich dem „Reinheitsgebot“ der Abstraktion der Moderne als ästhetischer Kategorie verweigern. Einer der Pioniere war Philip Guston, der schon 1978 und auf seine eigene Bilder-produktion zurückblickend, klar Stellung bezog: „There is something ridiculous and miserly in the myth we inherit from abstract art – that painting is autonomous, pure and for itself, and therefore we habitually defined its ingredients and define its limits. But painting is impure. It is the adjustment of impurities which forces painting’s continuity.“ Diese Sichtweise, dass das Bild, oder besser, die Malerei selbst die Reibungsfläche ist und sein muss, die den Künstler zum Handeln provoziert, teilt Pelz ebenso wie Gustons Absage an die Idee des non-relationalen Bildes. Seine Werke sind vielschichtige Beziehungsgeflechte.


Es ist nur konsequent, dass Pelz bereits ab 2005 beginnt, Lack und Ölfarbe auf seinen Tafeln zu kombinieren: Der Widerstand wird erhöht, der neue Materialmix, „unrein“ schon durch die gegensätzliche Chemie, stellt eine neue Herausforderung dar. Betrachtet man diese Malereien auf Abbildungen, so scheinen manche mit den neueren Arbeiten auf Papier verwandt. Auch hier gibt es ein Gegeneinander von Zeichen und Farbe, entsteht durch das verwirrende Spiel mit Vorder- und Hintergrund ein Bildraum, der manchmal fast kulissenhaft wirkt oder an die Trompe-l’Œil-Malerei des Barock anknüpft, ohne je tatsächlich eine Perspektive zu eröffnen.


Was die Abbildungen nicht verraten (und man selbst im Original nicht immer auf den ersten Blick erkennt), ist, dass die (Öl-)Farbe auf den Tafeln stets über dem Lack liegt, während das Setzen der Farbakzente auf dem Papier ganz am Anfang der Arbeit am Bild steht. (Abb. 06) Die Unmöglichkeit, vom Erscheinungsbild Rückschlüsse auf das den Entstehungsprozess prägende zeitliche Nacheinander zu ziehen, ist ein Charakteristikum der Werke von Heinz Pelz. Nur bei genauer Betrachtung und mit dem Wissen um die von ihm angewandten Mittel und Techniken ist die Abfolge der Arbeitsschritte, ein Davor und Danach erkennbar. Für den Gesamteindruck ist aber gerade die optische Gleichzeitigkeit entscheidend, weil sie unsere Wahrnehmung irritiert, uns herausfordert, im Wechsel nahe ans Bild heranzutreten und wieder Abstand zu suchen, um zu verstehen, was wir sehen.


In dieser Zeit finden sich auf den Bildern auch collagierte Elemente. Kleine Papierarbeiten, die auf die Fläche aufgebracht werden, machen die Malerei selbst zum Ausstellungsraum. (Abb. 07 und 8) Kunstfremde Versatzstücke wie Vliestücher oder aus Plastik gefertigte Formen werden als eigene Farbwerte oder aufgrund ihrer spezifischen Struktur und Oberflächenbeschaffenheit als Gegenpol zur „Matière première“ der Malerei eingesetzt. Manche von diesen Werken sind geradezu überwuchert. Auf eine Weiß-in-Weiß-Malerei aus Zweikomponentenlack sind ein altes Bundeswehrhandtuch (dessen Längs-streifen zum Kompositionselement werden), ein türkisgrünes und ein gelbes Vliestuch appliziert, deren Farbigkeit und Gewebestruktur an einigen Stellen durch die satt aufgetragene und gleich wieder mit dem Spachtel abgezogene Ölfarbe hindurchblitzen. Und als schwebten sie vor dem wilden Geschehen, sehen wir drei schmale Längsrechtecke, die in Wirklichkeit aber Durchblicke auf die erste Schicht, die weichen Pinselschwünge in Lack sind. 




Dust and Trace


Seit rund 10 Jahren arbeitet Heinz Pelz ausschließlich auf Papier. Es ist kein Neuanfang, nicht nur weil Papierarbeiten die Malerei von Beginn an begleitet haben, sondern auch, weil alle Erfahrungen und seine über die Jahre entwickelte Bildsprache in die Arbeit einfließen. Fragestellungen, die schon zuvor intensiv untersucht wurden, kehren unter neuen Vorzeichen zurück, werden auf anderer Ebene weitergeführt, „verfeinert“ und reduziert zugleich. „Nostalgie wird auf Abstand gehalten, indem man sich an das Zeichen-Machen statt an die Bezeichnung hält und es als Handlung des Markierens, des Legens und Hinterlassens von Spuren betreibt, die nicht unbedingt einer bestimmten Sprache angehören müssen.“


Das Wort „Spur“ leitet sich vom althochdeutschen „spor“, Fußabdruck, her. Bis heute verwenden wir Begriff meist für Zeichen, die ein Lebewesen oder Gegenstand hinterlassen hat. Spuren verweisen auf etwas, das da war, aber nicht mehr da ist. Anders als bei Zeichen assoziieren wir bei Spur deshalb immer eine Bewegung. Auch die Linie ist eine Spur. Kandinsky schrieb, die Linie „ist die Spur des sich bewegenden Punktes, also sein Erzeugnis. Sie ist aus der Bewegung entstanden – und zwar durch Vernichtung der höchsten in sich geschlossenen Ruhe des Punktes. Hier wird der Sprung aus dem Statischen in das Dynamische gemacht.“


Im vergangenen Jahr hat Heinz Pelz die ersten kleinformatigen Arbeiten auf Papier gemacht, auf denen sich feine, aus unzähligen winzigen Punkten zusammengesetzte Linien finden. Die Gleichmäßigkeit der Abstände der Punkte ebenso wie die durch sie beschriebenen Formen lassen erkennen, dass es sich um die Spuren eines Pausrädchens handelt. Damit die spitzen Zähnchen des Rädchens aber keine Löcher ins Papier drücken, sondern stattdessen als „Druckwerkzeug“ genutzt werden können, modifizierte der Künstler das Werkzeug, und auch für das Kohlepapier musste aus konservatorischen und Formatgründen ein Ersatz gefunden werden. Als Durchschlagpapier findet jetzt ein silikoniertes Packpapier Verwendung, das mit einer Mischung aus Bienenwachs, Terpentinöl und Pigment bestrichen wurde.Die feinen Bewe-gungsspuren ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Statischer Punkt oder dynamische Linie? Es ist ein Experiment mit der Wahrnehmung. Aus der Ferne sehen wir die Linie, aus kürzerem Abstand betrachtet, scheint sie sich in ihre Einzelteile aufzulösen, aber beim Versuch, unseren Blick tatsächlich auf einen Punkt zu fokussieren, spüren wir den Sog des Weiter, Weiter, Weiter. Statik und Dynamik sind untrennbar verbunden, und mehr noch, wir „sehen“ tatsächlich das antagonistische Prinzip.


Fast asketisch wirken viele dieser jüngsten Arbeiten von Heinz Pelz, bis aufs Äußerste reduziert und doch stets eine heitere Balance haltend. (Abb. 09) Nur drei zarte Berührungen des Blattes mit dem Pinsel, Grau, Rot, Gelb ganz links unten am Bildrand. In der Mitte steigt eine Linie auf und fällt zurück wie der Wasserstrahl einer Fontäne, wandert von rechts nach links, verlängert sich nach unten, um wieder aufzusteigen. Zur Natur des Bildes gehören auch die winzigen Farbpartikel, Pigmentstaub vom aufgelegten Carbonpapier, die die Spur begleiten, sie an den Rändern flirren lassen. Fast nichts, fast alles. Dust and Trace.



Abb.01.   K933, 1991-1993

‍ Ölfarbe, Kohle auf Nessel auf Holz

‍ 40 x 50 cm

‍ Privatsammlung Karlsruhe

Abb. 02 K932, 1993

‍ Ölfarbe auf Leinwand

‍ 55 x 40 cm

Abb. 03 M0107, 2001

 2 K Lack auf Feinblech

 150 x 100 cm

Abb. 04 K0204, 2002

 Ölfarbe auf Leinwand auf Holz

 28 x 35 cm

Abb. 05 K0605, 2006

 Ölfarbe auf Leinwand auf Holz, 40 x 50 cm

 Privatbesitz

Abb. 06 M0602, 2006

 2 K Lack, Ölfarbe auf Aluminium

 150 x 100 cm, Privatbesitz

Abb. 07 M0802, 2004 - 2008

‍ Ölfarbe, Papier auf Feinblech

‍ 150 x 100 cm

Abb. 08 M0803, 2008,

‍ Ölfarbe, Putztücher, Bundeswehrhandtuch

‍ auf Aluminium, 150 x 100 cm

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Abb. 09    Pk16646, 2016

‍ Carbonfarbe, Aquarell auf Bütten

‍ 32 x 24 cm

‍ Privatsammlung Karlsruhe